Konzepte und Methoden zur Qualitätsentwicklung in digitalen Lernwelten
Die Qualitätsbeurteilung in digitalen Lernwelten fokussiert sich auf den Lernprozess. Nicht externe Maßstäbe und interindividuelle Vergleiche werden herangezogen (etwa über Klausuren, Tests oder Assessments), sondern Verfahren der Selbstbewertung intraindividueller Entwicklungsprozesse stehen im Vordergrund. Die angewandten Mittel bestehen weniger aus Klausuren und Tests als vielmehr aus Reflexion und Begutachtung von Lernprodukten und E-Portfolios. Zwar ist E-Learning 2.0 als Trend eine neue Entwicklung, jedoch gibt es mit den zugrunde liegenden Lernmodellen autonomen Lernens und des Lernens in „Communities of Practice“ bereits substanzielle Erfahrungen und Methoden, wie Beurteilungen und Qualitätsbewertungen von Lernprozessen vorgenommen werden können. Diese Methoden können von Lehrenden genutzt werden, um sie zusammen mit Lernenden dazu einzusetzen, deren Lernfortschritte zu evaluieren und individuelle Lernplanungen zu ermöglichen. Lehrende haben dabei die Rolle von Mentorinnen und Mentoren, die Feedback und Rückmeldung geben, bei der Reflexion von Lernerlebnissen helfen oder E-Portfolio-Einträge beurteilen. Im folgenden Abschnitt werden zwei Methoden zur Qualitätsbeurteilung von Lernprozessen in digitalen Lernwelten exemplarisch vorgestellt.
Selbstevaluation
Eine wichtige Methode, die enorme Potenziale für die Qualitätsbewertung von Lernprozessen in E-Learning-2.0-Szenarien bietet, ist das Konzept der Selbstbewertung. Dabei geht es nicht um eine abschließende (summative) Beurteilung der Lernleistung, sondern vor allem um eine Verbesserung der Lernfähigkeiten.
„Self-evaluation is defined as students judging the quality of their work, based on evidence and explicit criteria, for the purpose of doing better work in the future. When we teach students how to assess their own progress, and when they do so against known and challenging quality standards, we find that there is a lot to gain. Self-evaluation is a potentially powerful technique because of it’s impact on student performance through enhanced self-efficacy and increased intrinsic motivation. Evidence about the positive effect of self-evaluation on student performance is particularly convincing for difficult tasks (Maehr & Stallings, 1972; Arter et al., 1994), especially in academically oriented schools (Hughes et al., 1985) and among high need pupils“ (Henry 1994).
E-Portfolios für summative Beurteilungen | E-Portfolios für formative Beurteilungen |
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Zweck des E-Portfolios wird vorgeschrieben | Der Zweck des E-Portfolios wurde mit den Lernenden abgestimmt |
Es ist festgelegt, welche Lernartefakte im Portfolio für eine Bewertung vorhanden sein müssen | Artefakte werden von den Lernenden ausgewählt, um damit die Geschichte ihres Lernens zu erzählen |
E-Portfolios werden üblicherweise am Ende eines Schuljahres, Semesters oder Programms unter Zeitbeschränkung angefertigt | E-Portfolios werden laufend gepflegt, über ein Schuljahr, Semester oder Programm hinweg, mit flexibler Zeiteinteilung |
Die E-Portfolios und/oder Artefakte werden üblicherweise benotet, basierend auf einer Matrix und quantitativen Daten für ein externes Publikum | Die E-Portfolios und Artefakte werden mit den Lernenden begutachtet und benutzt, um Rückmeldung zur Verbesserung des Lernens zu geben |
Das E-Portfolio ist üblicherweise durch die vorgegebenen Ergebnisse, Ziele oder Standards strukturiert | Die Organisation des E-Portfolios ist durch die Lernenden bestimmt oder mit den Mentorinnen und Mentoren/Beraterinnen und Beratern/Lehrenden/Peers ausgehandelt |
Manchmal werden sie benutzt, um wichtige Entscheidungen zu treffen | Sie werden kaum genutzt, um wichtige Entscheidungen zu treffen |
Summativ: Was wurde bis heute gelernt? (Vergangenheit - Gegenwart) | Formativ: Welche Lernbedürfnisse gibt es in der Zukunft? (Gegenwart - Zukunft) |
Extrinsische Motivation ist notwendig | Intrinsische Motivation mobilisiert die Lernenden |
Publikum: extern, geringe Auswahlmöglichkeiten | Publikum: Lernende, Familie, Freunde und Freundinnen |
Tab.2: Funktionen eines E-Portfolios zur Beurteilung (basiert auf Hornung-Prähäuser et al., 2007)
In der Literatur finden sich positive Effekte für Selbstevaluationsprozesse auf die Lernleistung (Maehr & Stallings, 1972; Arter et al., 1994; Hughes et al., 1985). Studierende können sich dabei mit dem Profil der eigenen Stärken und Schwächen auseinandersetzen. Rolheiser und Ross (2001) führen aus, dass Studierende, die ihre Leistungen positiv evaluieren, sich höhere Ziele stecken, sich persönlich mehr für den Lernprozess einsetzen und mehr persönliche Ressourcen mobilisieren.
Ein Selbstbeurteilungsprozess vollzieht sich in vier Schritten:
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Schritt 1: Lernende werden in die Definition der Kriterien eingeführt, die zur Beurteilung herangezogen werden. Dies geschieht zumeist in Form von Aushandlungsrunden. Es zeigt sich, dass weder Kriterien, die vorgegeben werden, noch Kriterien, die vollständig von Studierenden entwickelt werden, so effektiv sind wie solche, die gemeinsam entwickelt werden. Studien zeigen, dass Kriterien, die in Zusammenarbeit mit Lernenden entwickelt werden, Zustimmung und Zielmotivation erhöhen. Lernende werden zudem gleichzeitig bei der Entwicklung von eigenen Zielen geführt und machen Erfahrungen bei der Wahl der Schwierigkeitsstufe. Es entwickelt sich zudem eine Beratungshaltung zwischen Lehrenden und Lernenden, die in E-Learning-2.0-Lernprozessen von hoher Bedeutung sein kann.
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Schritt 2: In diesem Schritt wenden Lernende die selbst gewählten Kriterien auf ihren eigenen Lernprozess an. Dabei kann es wichtig sein, dass ihnen Beispiele zur Verfügung stehen, wie solche Bewertungen aussehen.
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Schritt 3: In einem dritten Schritt bekommen Lernende Feedback zu ihrer Selbsteinschätzung. Ziel ist es, die eigenen Einschätzungen durch diesen Feedback-Prozess zusammen mit Lehrenden zu kalibrieren. Eine Triangulation von eigener Einschätzung, derjenigen der Lehrenden und derjenigen der Peers wird in die Bewertung einbezogen.
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Schritt 4: Im vierten Schritt werden Studierende aufgefordert, auf Basis der eigenen Einschätzung Kompetenzentwicklungspläne zu entwickeln und mit Lehrenden Strategien zu beraten, um diese Ziele zu erreichen.
Qualitätsbeurteilung mit E-Portfolios
E-Portfolios – netzbasierte Sammelmappen – integrieren verschiedene Medien und Services. Studierende sammeln in ihrem E-Portfolio diejenigen Lernartefakte, die sie im Verlauf einer Veranstaltung oder auch während des gesamten Studiums erstellen. Das elektronische Portfolio können Studierende benutzen, um ihre Kompetenz auszuweisen und ihren Lernprozess zu reflektieren. Es werden Arbeitsergebnisse, verbunden mit Anmerkungen von Tutorinnen/Tutoren, Lehrenden und Kommilitoninnen/Kommilitonen, Feedbacks und persönlichen Reflexionen, gesammelt.
E-Portfolios eignen sich zur Qualitätsbeurteilung: „Sind E-Portfolios ein Assessment des Lernens oder für das Lernen?“ (Ainsworth & Viegut, 2006). E-Portfolios können dabei zur abschließenden Bewertung (summativ) oder zur fortlaufenden Verbesserung (formativ) herangezogen werden (vgl. Kapitel #assessment). Wie in Tabelle 2 ersichtlich, unterscheiden sich Zweck, Ausgestaltung und Inhalte der E-Portfolios zur summativen Bewertung des Lernerfolgs deutlich von denjenigen zur formativen Bewertung der Lernunterstützung.
Hinsichtlich der Qualitätsbeurteilung wird das E-Portfolio als Weg von ausschließlich fremd bestimmter, testorientierter Leistungsfeststellung durch die Lehrenden, hin zu einer stärker selbstbestimmten Leistungsdarstellung durch die Lernenden verstanden. E-Portfolios sind kompetenzorientiert. Es wird dabei nicht betont, was Lernende falsch gemacht haben, sondern was sie können. Portfoliobefürworter/innen betonen „häufig die natürliche Brückenfunktion des Portfolios, das heißt die Verbindung, die es zwischen Lehren, Lernen und Beurteilen herstellt“ (Häcker, 2005, 14). Ein E-Portfolio ist daher eine Methode der Leistungsbeurteilung, die eine Kombination aus Fremd- und Selbstevaluation bietet.
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Die neue Lernkultur ist gekennzeichnet durch eine stärkere Autonomie der Lernenden, die wegführt von einem Wissenstransfermodell, wie es in vielen Bildungskontexten vorherrscht, hin zu einem Modell der gemeinsamen Wissenskonstruktion und Kompetenzentwicklung.
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