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Diskussion: „E-Learning 2.0“

Ein Schlagwort, um welches man nicht herumkommt, auch wenn es langsam an Resonanz verliert, ist der Begriff „Web 2.0“. Das Web 2.0 hat das Lernen und die Vorstellung darüber, wie gelernt werden kann, stark beeinflusst und beflügelt.

Web 2.0

Der Begriff „Web 2.0“ soll auf Scott Dietzen, einen ehemaligen Mitarbeiter bei Bea Systems, zurückgehen und wurde erstmalig im Dezember 2003 in der US-Ausgabe „Fast Forward 2010 – The Fate of IT“ des CIO-Magazins von Eric Knorr in der Öffentlichkeit verwendet (Knorr, 2003). Mit der ersten Web-2.0-Konferenz im Herbst 2004 in San Francisco, veranstaltet von Tim O’Reilly (gemeinsam mit Dale Dougherty), erlangte der Begriff den internationalen Durchbruch. 2005 wird er in einem Artikel auch von O’Reilly (2005) benannt. Er definierte das Web 2.0 dabei nicht als eine ‚neue Technologie‘, sondern eine neue Art, eine neue Haltung (engl. ‚attitude‘), wie Menschen mit dem Internet umgehen. Internetnutzer/innen sind nicht mehr bloß Lesende statischer Webseiten, sondern können diese oftmals modifizieren, ohne dass hierzu Kenntnisse von zusätzlichen Programmiersprachen nötig wären. Zu Beginn des World Wide Web kam man nicht darum herum, die dafür notwendigen HTML-Kenntnisse zu erlernen (siehe Kapitel #hypertext, #fernunterricht). Die Weiterentwicklung von Internettechnologien und entsprechend einfachen Benutzeroberflächen macht es nun vergleichsweise einfach, sich zu beteiligen: Selbsterstellte Mediendateien wie Fotografien oder Tonaufnahmen können unter anderem über gemeinsame Plattformen im Internet zur Verfügung gestellt werden; man tauscht sich mit Schul- und Arbeitslkolleg/inn/en in sozialen Netzwerken aus.

Die für die Entwicklung notwendigen Internettechnologien (siehe Kapitel #webtech) traten bei der Debatte über „Web 2.0“ per Definition (O’Reilly, 2005) in den Hintergrund. Dies erklärt auch, dass man beim Versuch, das Web 2.0 an einzelnen Entwicklungen dingfest zu machen, unweigerlich auf ein anwachsendes Sammelsurium an Möglichkeiten stößt, denen allen aber gemeinsam ist, dass der Fokus auf Interaktion (Kommunikation, Arbeiten, Teilen) der Benutzenden liegt, unabhängig von einzelnen Programmiersprachen und Plattformen.

Das Web der Inhaltskonsumierenden wurde zu einem Web von miteinander kommunizierenden Inhaltsproduzierenden. Weil nun jede und jeder (relativ) einfach mitgestalten und mitmachen kann, wird es auch gerne als „Mitmach-Web“ bezeichnet. Gerade diese Vereinfachung und Potenzierung des Gemeinschaftlichen unterstreicht die Bezeichnung des Web 2.0 als ‚soziale‘ und weniger ‚technische Revolution‘ (Downes, 2005). Man spricht darüber hinaus auch von der kollektiven Intelligenz (O'Reilly, 2005), von der Weisheit der Vielen (Surowiecki, 2005) und von der ‚Kultur der Amateure‘ (Keen, 2007). Das TIME Magazine griff diese Entwicklung frühzeitig auf, indem es im Jahr 2006 „You – the Internet User“ zur Person des Jahres kürte (Grossman, 2006).

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1989 träumt Tim Berners-Lee, der als einer der Vordenker des World Wide Web gilt (siehe #www), von einem Internet, in und über welches alle mit allen alles teilen können (Berners-Lee, 1989); mit dem ‚Web 2.0‘ ist dieser Traum ein Stück mehr Realität geworden.

Trotz der eher „nicht-technischen“ Charakterisierung des Web 2.0 gibt es Typen von Anwendungen, die als Web-2.0-Anwendungen beschrieben werden. Wir stellen sie hier kurz vor:

  • Wikis sind Content-Management-Systeme (CMS) und bestehen aus Webseiten, deren Inhalte von mehreren Benutzerinnen und Benutzern gemeinsam (kollaborativ), aber nicht gleichzeitig bearbeitet werden können. Kennzeichnend für Wikis sind die integrierte Versionskontrolle und die Linkkonsistenz. Wikis werden oft als Wissenskompendien eingesetzt (siehe Kapitel #kollaboration).

  • Weblogs sind Webseiten mit mehr oder weniger regelmäßig neu erscheinenden Einträgen, chronologisch mit dem neuesten beginnend sortiert. Den Strom an Artikeln eines Weblogs (engl. „stream“) können Leserinnen und Leser kommentieren. Jeder Artikel ist über einen eigenen gleichbleibenden Link (permanenter Link) auf anderen Webseiten verknüpfbar. Microblogging-Systeme, die nur kurze Nachrichten mit maximal 140 Zeichen unterstützen, allen voran Twitter, haben in den letzten Jahren an Popularität gewonnen (siehe Kapitel #blogging).

  • Podcasts sind Internet-Versandkanäle von Audiodateien und Videos (allgemein Multimediadaten), die mit Hilfe der RSS-Technologie abonniert werden, das heißt, automatisiert an Endgeräte wie den Computer oder das Mobiltelefon übertragen und dort abgespielt werden können (siehe Kapitel #educast).

  • Soziale Netzwerke werden Internetplattformen genannt, welche die Vernetzung ihrer Nutzerinnen und Nutzer mit alten und neuen Bekannten erlauben und deren Kommunikation unterstützen, so dass zum Beispiel auch „Bekannte von Bekannten“ mitlesen können. Zu den populären sozialen Netzwerken gehören im deutschsprachigen Raum zurzeit Facebook, Twitter, Google+, sowie Xing und LinkedIn.

  • Medienplattformen erlauben schließlich das Veröffentlichen eigener Multimedia-Dateien im World Wide Web. Bekannte Plattformen sind dabei für Videos YouTube.com, für Fotos Flickr.com, für Präsentationen Slideshare.com und für Links, die man sich merken möchte, Delicious.com. Auch gibt es eine Reihe von kollaborativen Anwendungen, die Benutzenden helfen, miteinander über das Internet Dateien auszutauschen, online zu bearbeiten oder einfach zu speichern (siehe Kapitel #kollaboration, #literatur).

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Um die rasante Entwicklung und Bedeutung des Web und des Web 2.0 auf das persönliche Leben zu erfassen, versuchen Sie, eine Chronologie Ihrer eigenen Erfahrungen und Verhaltensweisen in Bezug auf den Themenkomplex Internet, Kommunikation und Mobilität auf einer Zeitachse nachzuzeichnen. Wann haben Sie Ihr erstes Mobiltelefon verwendet? Wann waren Sie das erste Mal im Internet? Seit wann sind Sie Mitglied in einem sozialen Netzwerk, zum Beispiel Facebook? Wann haben Sie sich dazu entschlossen, erstmals etwas von Ihnen selbst ins Internet zu stellen?

E-Learning 2.0

Die Entwicklungen rund um Web 2.0 und die genannten Anwendungen haben auch die Diskussion im technologiegestützten Lernen entfacht: 2005 postulierte Stephen Downes im eLearn Magazine den Begriff „E-Learning 2.0“ (Downes, 2005) und beschreibt dabei, wie sich aus seiner Sicht mit den Werkzeugen des Web 2.0 ebenso das Lernen verändert. Wie beim Begriff Web 2.0 spielt auch bei E-Learning 2.0 der soziale Aspekt, der aktive und kollaborative Umgang mit neuen Medien zu Lern- und Lehrzwecken, eine entscheidende Rolle.

E-Learning findet nach Downes (2005) nicht mehr ausschließlich auf einer eingeschränkt zugänglichen Lernplattform statt, von der Lernende von Lehrenden bereitgestellte Unterlagen herunterladen oder in einem Chat oder Diskussionsforum miteinander Inhalte diskutieren können. Beim E-Learning 2.0 haben die aktive Nutzung und Erstellung von Inhalten in Wikis, Weblogs, Podcasts, sozialen Netzwerke und Medienplattformen Einzug gehalten. Gemeint ist hier also nicht die Recherche bei Wikipedia, sondern beispielsweise das gemeinsame Erstellen von Inhalten in einem Wiki-System (siehe Kapitel #kollaboration).

„E-Learning 2.0“ bezieht sich dabei auch nicht ausschließlich auf den Einsatz von Web-2.0-Technologien beim Lernen und Lehren, sondern bezeichnet auch viele weitere beobachtbare Prozesse und Entwicklungen: In Online-Gemeinschaften, die sich beispielsweise in sozialen Netzwerken wie Facebook finden, tauscht man sich mit anderen Interessierten aus, Lernende erstellen selbst Webseiten, Podcasts oder Videos. Allgemein stehen immer mehr Lernmaterialien im Netz zur freien Verfügung. Lernen findet nicht mehr in „geschützten“ Räumen statt, sondern wird öffentlich. Die Lernenden können (und müssen) größere Selbststeuerung und -organisation übernehmen und die Rolle der Lehrenden wandelt sich von unterrichtenden Expert/inn/en zur Lernbegleiterin und zum Lernbegleiter – um nur einige der genannten Aspekte zu nennen. (Kerres, 2006; Ebner, 2007; Bernhardt & Kirchner, 2007).

Wie vielseitig das Web 2.0 bzw. der Begriff des E-Learning 2.0 ist, zeigt sich auch an den Themen und Aspekten dieses Lehrbuchs. Dennoch ist es weiterhin nur ein Bereich des großen Felds des Einsatzes von Technologien für das Lernen und Lehren.

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Der Begriff „E-Learning 2.0“ beschränkt sich nicht auf die Verwendung der Werkzeuge des sogenannten „Web 2.0“, sondern beinhaltet auch die veränderten Beteiligungsmöglichkeiten, die neuen didaktisch-methodischen Möglichkeiten und Auswirkungen für das Lernen (und Lehren).