Game-Based Learning

Spielend Lernen?

Computer- und Videospiele gewinnen immer weiter an Popularität, vor allem auch durch neuere Entwicklungen wie der zunehmenden Eignung moderner Smartphones als Spielplattform oder dem Trend zu Browser- und Social-Games. Millionen von Menschen nutzen digitale Spiele als reine Freizeitbeschäftigung, ohne sich der mit den Spielen verbundenen Lernprozesse bewusst zu sein. Zwar dienen das bei Unterhaltungsspielen erworbene Wissen und die sich entwickelnden Kompetenzen in erster Linie der Erreichung der Spielziele, aber das Lernpotenzial digitaler Spiele lässt sich auch für formelle Bildungsziele nutzen – das zumindest ist die Grundidee des „Digital Game-Based Learning“. Was und wie lernt man durch digitale Spiele? Wie lassen sich Computer- und Videospiele zu Lernzwecken instrumentalisieren? Wie müssen digitale Lernspiele ausgestaltet werden, um einen möglichst hohen Lernerfolg zu gewährleisten, und wie können die Spiele in geeignete Lernarrangements eingebunden werden? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich die Wissenschaft im Themenbereich (Digital) Game-Based Learning. Ziel dieses Kapitels ist es, das Konzept des (Digital) Game-Based Learning vorzustellen, indem einerseits seine Grundüberlegungen und wichtige Einflussgrößen erläutert, und andererseits Potenziale, Probleme und Herausforderungen veranschaulicht werden. Abgerundet wird das Kapitel durch einige Praxisbeispiele.

Begriff und Geschichte

Der Begriff „Game-Based Learning“ stammt aus dem angloamerikanischen Raum. Er wurde Anfang des Jahrtausends durch die Arbeiten von Autoren und Autorinnen wie James Paul Gee (2007), Diana Oblinger (2006), Richard Van Eck (2006), Steven Johnson (2006) und Marc Prensky (2007) medienwirksam verbreitet. Teilweise wird von den Autoren und Autorinnen ein „Digital“ ergänzt, um hervorzuheben, dass Computer- und Videospiele als digitale Spiele im Vordergrund stehen. In der Literatur findet sich bisher keine eindeutige Abgrenzung des Game-Based Learning zu anderen populären Begriffen wie „Serious Games“ (siehe #virtuellewelt) oder „Educational Games“ (Fromme et al., 2009 und Fromme et al, 2010). Einigkeit herrscht aber darin, dass der Einsatz digitaler Spiele im Bildungskontext mit „ernsten Absichten“ geschieht. Einige Autoren/innen fassen dabei auch solche Konzepte unter den Begriff des (Digital) Game-Based Learning, bei denen konventionelle Unterhaltungsspiele zur Motivation, zur Belohnung oder zur Reflexion eingesetzt werden (Ritterfeld & Weber, 2006; Klimmt, 2008). Andere Autoren/innen beschränken wiederum „Serious Games“ nicht allein auf den institutionellen Bildungssektor, sondern sehen sie etwa auch als geeignete Instrumente zur Wissensvermittlung im Gesundheitssektor („Games for Health“), beispielsweise zur spielerischen Unterstützung von Therapien oder in der Werbung zur Anpreisung von Produkten (Sawyer, 2008).

Bereits in den 1990er Jahren, also noch vor der Diskussion von (Digital) Game-Based Learning, wurden digitale Spiele zur Wissensvermittlung eingesetzt. Es handelte sich dabei in der Regel um eher simple Lernspiele für jüngere Lernende, die sich im Rahmen des Edutainment-Trends die zunehmend multimedialen Fähigkeiten von PC zu Nutze machten und hauptsächlich Vorschulwissen vermittelten (Michael & Chen, 2006). Zeitgleich gewannen im Kontext der immer leistungsfähigeren PC und der Verbreitung portabler und stationärer Videospielkonsolen digitale Spiele rasant an Popularität. Bildungsexperten/innen sahen sich vor diesem Hintergrund gefordert, die Auswirkungen der Spielnutzung auf die Heranwachsenden zu untersuchen. Neben den Kritikern/innen, die vor Gefahren wie Vereinsamung, Suchtverhalten, Aggression oder Bewegungsarmut der intensiven und unbegleiteten Spielbeschäftigung warnten, meldeten sich zunehmend auch Befürworter/innen eines Game-Based Learning zu Wort, die in digitalen (Lern-)Spielen eine vielversprechende Form des aktiven, selbstgesteuerten, konstruktiven und situierten Lernens erkannten (Petko, 2008; Gros, 2007). Diese Idee fand im Bildungsbereich insbesondere auch deshalb große Resonanz, weil die ersten Erfahrungen mit E-Learning zeigten, dass bisherige softwareunterstützte Lernformen wie Computer-Based Trainings (CBT) oder Web-Based Trainings (WBT) häufig aufgrund didaktischer Mängel nicht den erhofften Erfolg brachten. Trotz der weitreichenden multimedialen Darstellungsmöglichkeiten konnten die Lernenden die Inhalte hier oft nur passiv rezipieren, so dass es bei mangelnder intrinsischer Motivation zu hohen Abbruchquoten kam (Meier & Seufert, 2003).

Grundüberlegungen

Digitale Spiele sind nach Wagner (2008) ein regelbasiertes, interaktives Medium, das Spielende „emotional bindet und innerhalb eines von der objektiven Realität abgegrenzten Raums stattfindet“ (S. 49) und dessen „zugrunde liegende Interaktionstechnologie rein digitaler Natur ist“ (S. 50). Zwar handelt es sich bei Spielen aus informationstechnischer Sicht um Software, sie unterscheiden sich aber von anderen Softwareformen dadurch, dass es keinen zweckbezogenen Bedarf für sie gibt (Sellers, 2006). Sie werden nicht erstellt, um festgelegte Nutzerziele oder erforderliche Aufgaben zu erfüllen beziehungsweise zu unterstützen; die Nutzer/innen sind also nicht auf sie angewiesen. Da digitale Spiele im Wesentlichen der Unterhaltung dienen, stehen die Hersteller im Gegensatz zu anderen Softwareproduzierenden vor der Herausforderung, Bedarf für ihre Produkte überhaupt erst zu wecken. Die hohen, internationalen Wachstumsraten der Spielbranche in den letzten Jahren zeigten, dass dies auch gut gelingt. Der sich verschärfende Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Kunden führt aber gleichzeitig dazu, dass die Spielproduktion immer aufwändiger und teurer wird. Zum Beispiel lagen laut Holowaty (2010) die Produktionskosten für die zehn teuersten Spiele in den Jahre 2009 und 2010 im zweistelligen Millionenbereich.

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Digitale Spiele (Bildschirmspiele oder Computer- und Videospiele) sind ein regelbasiertes, interaktives Medium, das Spielende emotional bindet und innerhalb eines virtuellen Raums stattfindet, dessen zugrunde liegende Interaktionstechnologie rein digitaler Natur ist. Beispiele für Interaktionstechnologien sind Arcade-Automaten, mobile oder stationäre Computer und Videokonsolen sowie Mobiltelefone.

Es existieren verschiedene Typen digitaler Spiele, leider findet sich in der Literatur jedoch bisher keine einheitliche Klassifizierung. Je nachdem, welche Merkmale ein Verfasser oder eine Verfasserin für seine Einordnung berücksichtigt, ergeben sich entsprechend unterschiedlich viele Spielgenres (Gauguin, 2010). Typische Unterscheidungsmerkmale sind dabei die Spieldynamik, die Symbolstruktur oder die Handlungsanforderung, was auf die folgenden grundlegenden Spielgenres schließen lässt (wobei anzumerken ist, dass aktuelle Unterhaltungsspiele in der Regel Merkmale mehrerer Genres aufweisen) (Feil & Scattergood, 2005; Pedersen, 2003):

Die Popularität und der Spielspaß von digitalen Spielen können dadurch erklärt werden, dass verschiedene Mechanismen des Unterhaltungserlebens sequenziell oder parallel ausgenutzt und aktiviert werden. Zentrale Unterhaltungsprozesse sind nach Klimmt (2008) Selbstwirksamkeitserfahrung, Spannung bzw. Lösung und simulierte Lebens- und Rollenerfahrungen, die bei Spielen zu einem integrierten Erlebnis verschmelzen:

Eng verbunden mit der Selbstwirksamkeit und der erfolgreichen Kontrolle eines Spiels ist die Lernfähigkeit eines Spielers oder einer Spielerin. Das Erlernen von Spielen beschreiben Garris & Driskell (2002) dabei als einen Spielzyklus aus Spielerverhalten, Rückmeldungen des Programms und der daraufhin von Spielenden vorgenommenen Beurteilung des Spielfeedbacks und des eigenen vorherigen Verhaltens (vgl. ebenso die Ausführungen von Kerres et al., 2009). Die Spieler reagieren dabei mit einem unterschiedlich hohen Grad an Interesse, Freude, Ehrgeiz oder Selbstvertrauen auf das Feedback, was wiederum die Richtung, Intensität und Qualität ihres weiteren Verhaltens beeinflusst. Spielende führen also einen Spielzug aus, erhalten eine Reaktion, bewerten anschließend ihre Situation und können sich dann zu einem weiteren Spielzug entscheiden. Wird ihr Handeln als richtig akzeptiert, fühlen sie sich positiv bestätigt und ihr Interesse am Weiterspielen steigt. Wird ihr Zug aber als falsch deklariert, fühlen sie sich herausgefordert. Ihr Ehrgeiz steigt und sie nehmen solange alternative Handlungen vor, bis bei wiederholtem Misserfolg ihre individuelle Frustgrenze erreicht ist und sie das Spiel entnervt beenden. In der Regel durchlaufen Spielende diesen Zyklus nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip mehrfach und erwerben damit schließlich die erforderliche Kompetenz.

Eine kritische Komponente des Zyklus stellen folglich die Rückmeldungen des Programms und somit die im Spiel implementierten Hilfefunktionen und Regeln dar. Spiele mit gutem Spieldesign zeichnen sich durch eine abgestimmte Balance von Herausforderungen und Erfolgserlebnissen aus. Abbildung 1 zeigt den Spielzyklus.

Ein Verständnis für die Spielidee zu entwickeln bedeutet, dass Spielende deklaratives Wissen über die Objekte und Regeln des Spiels erwerben, welches sie im Spielzyklus anwenden und weiterentwickeln. Bei komplexeren Spielen würde der Aufbau einer deklarativen Wissensbasis jedoch zu einer regelrechten Einstiegshürde heranwachsen, weshalb hier typischerweise einer prozeduralen Wissensgenerierung im Spielverlauf (Learning-by-Doing) der Vorzug gewährt wird. Die zunächst verborgene Logik des Spiels wird von Spielenden erst nach und nach erkundet, was sie jedoch nicht vom erfolgreichen Spielen abhält. Kerres et al. (2009) weisen in diesem Kontext darauf hin, dass in digitalen Spielen vorwiegend implizites Lernen stattfindet. Das trainierte Verhaltensrepertoire Spielender wird durch den Spielzyklus hochgradig routiniert und läuft weitgehend automatisch ab. Explizites Lernen wird aber immer dann notwendig, wenn die Spielenden nicht mehr weiterkommen und sich gezwungen sehen, aus der Spielwelt in die Realität aufzutauchen, um nach geeigneten Problemlösungen zu suchen. Spiele, die Spielenden zu häufigen und langen Phasen expliziten Lernens zwingen, laufen dabei Gefahr, schnell an Attraktivität zu verlieren.

Abb. 1: Input-Prozess-Output-Spielmodell (nach Garris & Driskell, 2002)
Abb. 1: Input-Prozess-Output-Spielmodell (nach Garris & Driskell, 2002)

Potenziale und Herausforderungen

Bei unterhaltsamen Spielen können die Spielenden die Zeit und ihr reales Umfeld regelrecht vergessen. Ein Grund hierfür ist der geschilderte schrittweise Aufbau der erforderlichen Kompetenzen und Kenntnisse im kontinuierlichen Zyklus aus Handlung, Rückmeldung und erneuter Handlung in Reaktion auf Erfolg oder Misserfolg. Eine derart intensive und selbstvergessene Auseinandersetzung mit dem Spielgegenstand (beziehungsweise Immersion und Flow-Erfahrung, Bopp, 2005) wünschen sich Bildungsanbieter auch für andere Lerninhalte, weshalb sie daran interessiert sind, die Eigenschaften digitaler Spiele im Bildungskontext gewinnbringend einzusetzen. Insbesondere im Rahmen des durch die Möglichkeiten des technologiegestützten Lernens vorbereiteten Paradigmenwechsels von traditionellen und eher passiv ausgerichteten Lernformen zu stärker selbstgesteuerten und eigenverantwortlichen Lernprozessen stellt (Digital) Game-Based Learning einen vielversprechenden Ansatz dar. Komplexere digitale Lernspiele können folgende, auf Basis einer konstruktivistischen Auffassung wünschenswerte Lernprozesse fördern (in Anlehnung an Meier & Seufert, 2003):

Im Idealfall ist spielbasiertes Lernen also mit einem hohen Maß an intrinsischer Motivation verbunden und kann strategisches Denken und Entscheidungsfindung in einem Kontext anregen, wo Lösungen anspruchsvoller Probleme mit der Möglichkeit verschiedener Handlungsalternativen gefordert werden (Helm & Theis, 2009). Die Lernziele von Game-Based Learning gehen über das reine Verstehen und Speichern von Lerninhalten hinaus, sie beinhalten auch den Erwerb von generischen und metakognitiven Fertigkeiten wie den Umgang mit komplexen Situationen oder das Durchdenken und Erkunden von erforderlichen Handlungen (unter anderem mittels Informationssuche unter Zeitdruck oder schnellem Reagieren auf Bedrohungen). Das Sammeln positiver Selbstwirksamkeitserfahrungen kann außerdem das allgemeine Selbstvertrauen im Umgang mit Unsicherheiten stärken (Kerres et al., 2009).

Es stellt sich aber die Frage, inwiefern sich Spiele überhaupt in der gewünschten Weise instrumentalisieren lassen, wenn Spiele nach Spieltheoretikern wie Huizinga oder Caillois eigentlich zweckfreie und freiwillige Handlungen sind, die losgelöst vom Alltagsleben nach eigenen Regeln funktionieren (Huizinga, 1961; Caillois, 2001). Die Beschreibung der Lernprozesse beim Spielen deutete bereits darauf hin, dass implizites Lernen nicht als Lernaktivität wahrgenommen wird und so gesehen die ideale und erwünschte Lernweise darstellt („Stealth-Learning“), wobei explizites Lernen – zumindest potenziell – den Spielfluss stören kann. Bopp (2005) bezeichnet daher die Lehr-Lern-Methode in digitalen Spielen als Programm einer immersiven Didaktik. Mediale oder technische Brüche in Lernspielen fördern dieses Gefühl der Störung zusätzlich. Beispielsweise kommt Jantke (2007) aus der Analyse einiger kommerziell erfolgreicher Lernspiele zu dem Schluss, dass den Herstellern in vielen Fällen keine didaktisch sinnvolle Integration von Lerninhalten und Spielmechanik gelingt: In einigen Spielen werden Spiel- und Lernbereiche voneinander getrennt, wobei Lerninhalte nicht immer relevant für den Spielablauf sind oder Spielende sogar zum Lernen gezwungen werden, um im Spiel voranzukommen. Zudem bereiten nach einer Untersuchung bekannterer Serious Games durch Shen et al. (2009) viele Titel nicht annähernd das von Unterhaltungsspielen gewohnte Maß an Spielspaß, da ihre technische Funktionalitäten, ihre ästhetische Präsentationen und vor allem ihr Game Design nicht an den Standard konventioneller Spiele heranreichen, was aber hauptsächlich durch das wesentlich geringere Investitionsbudget für Lernspiele begründet werden kann. Die Absicht, digitale Spiele für Bildungszwecke zu nutzen, stellt somit große Herausforderungen an das Instruktions- und an das Spieldesign, da mit einer unausgewogenen Balance aus pädagogischem Anspruch und spieltechnischer Umsetzung Ergebnisse erzeugt werden, die weder lehrreich noch unterhaltsam sind (Kerres et al., 2009).

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(Digital) Game-Based Learning bedeutet den Einsatz digitaler Spiele in einem (Fort-)Bildungskontext zur Förderung und Unterstützung von Lernprozessen. Die Nutzung der Spieltypen beschränkt sich allerdings nicht nur auf digitale Lernspiele (Serious Games), sondern es können auch konventionelle Unterhaltungsspiele eingesetzt werden, wenn sie inhaltlich oder thematisch für das Ziel-Lernarrangement geeignet sind.

Der hohe pädagogische Anspruch spiegelt sich auch in den ambivalenten Erwartungen wider, die oft an (Digital) Game-Based Learning gestellt werden. Danach sollen die im (Digital) Game-Based Learning eingesetzten Spiele (Jenkins et al., 2009):

Jenkins et al. (2009) kritisieren zudem die irrtümliche, aber verbreitete Auffassung, dass bei Lernenden aufgrund der spielerischen Vermittlungsform erwünschte Lerninhalte oder Fähigkeiten einfach indoktriniert werden könnten. Digitale Lernspiele dürfen gerade nicht als spielerische Varianten instruktiver Lernsoftware verstanden werden, sondern besitzen wie bereits erläutert spezifische Mechanismen und Wirkungsweisen, um Lernprozesse anzuregen. Um gewünschte Lernziele zu erreichen, reicht es daher nicht aus, Lerninhalte lediglich in digitalen Spielen zu platzieren, sondern die Inhalte müssen mit der Spielmechanik verzahnt werden, um durch die Lernprozesse beim Spielen die angestrebten Effekte zu fördern.

Potentiale Herausforderungen
Förderung von aktivem, konstruktivem, selbstgesteuertem, sozialem, emotionalem und situiertem Lernen (lernerzentriertes Lernmodell) Didaktische Aufbereitung von Lerninhalten und Spielmechanik (zum Beispiel Gefahr der Verminderung von Spielspaß durch Wechsel von implizitem und explizitem Lernmodus)
Erleichterung des Verständnisses von komplexen Sachverhalten durch Erwerb generischer und metakognitiver Fertigkeiten Hohe, ambivalente Erwartungen an (Digital) Game-Based Learning aufgrund unklaren Verständnisses; Notwendigkeit zur Aufklärung von Chancen und Grenzen
Hohe Motivation durch spielerische Komponenten wie Herausforderungen und Erfolgserlebnissen (Stärkung des eigenen Selbstvertrauens) Mögliche Probleme beim Transfer von Bedeutungskontexten ohne Betreuung oder Nachbesprechung
Realisierbarkeit von implizitem Lernen, idealerweise keine Wahrnehmung von exogener Anstrengung oder Druck beim Lernen ("Stealth Learning") Fehlende Verfügbarkeit geeigneter Spiele für individuelle Lehrveranstaltungen; hohe Hürden für die Selbsterstellung geeigneter Spiele aufgrund der Komplexität der Spielgestaltung bzw. des erforderlichen interdisziplinären Know-How

Tab.1: Potenziale und Herausforderungen des (Digital) Game-Based Learning

Ob eine solche Verzahnung jedoch alleine ausreicht, bezweifelt Wagner (2009) in seiner Theorie des ludischen Konstruktivismus, nach der die Lernergebnisse von dem Zusammenwirken der Erwartungshaltungen des Lernenden im Umgang mit dem Spiel, den im Spiel existierenden Regeln und Zielen und der Übersetzungskompetenz des Spielenden zwischen den Bedeutungskontexten von objektiver Realität und vom Medienspielraum abhängen. Der Einsatz von digitalen Lernspielen kann aufgrund der individuellen Spielerfahrungen die Erreichung festgelegter Lernziele nicht garantieren. Um auf definierte Lernziele hinwirken zu können, wäre demnach im Vorfeld eine individuelle Beeinflussung der Erwartungshaltung der Lernenden durch eine pädagogische Betreuung erforderlich. Auch müsste die Übersetzungskompetenz der Lernenden auf Defizite oder Unterschiede überprüft werden; der Lehrende wird somit zu einem/einer unverzichtbaren Lernprozessbegleiter/in, ohne den/die nach Wagner im Allgemeinen ein selbstgesteuertes Lernen mittels (Digital) Game-Based Learning weitgehend ausgeschlossen ist. Auch andere Autoren/innen (Kerres et al., 2009) erkennen die Notwendigkeit einer didaktischen Rahmung an, um gewünschte Lerneffekte erzielen zu können. Garris und Driskell (2002) sehen zudem in der Nachbesprechung („De-Briefing“) eines Lernspiels einen kritischen Teil der Spielerfahrung, weil hier eine Verbindung von Spielwelt und Realität hergestellt werden kann: Die Lernenden können auf Parallelen zur Wirklichkeit aufmerksam gemacht werden und die Ereignisse des Spiels mit ihren Dozierenden kritisch reflektieren.

Zusammenfassung und zentrale Erkenntnisse

Abschließend sollen noch einmal die zentralen Erkenntnisse dargestellt werden:

In der Praxis: Beispiele

Winterfest

Das Adventure Winterfest soll Erwachsene, die Probleme mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen haben, spielerisch zum Lernen motivieren. Der Spieler oder die Spielerin wird in eine prätechnologische Welt versetzt und muss durch die Bewältigung von Rätseln und Aufgaben versuchen, wieder nach Hause zu kommen. In vielen Aufgaben werden die Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz im Kontext lebensweltnaher Alltags- und Arbeitsszenarien gefördert. http://www.lernspiel-winterfest.de

Energetika 2010
Das Online-Strategiespiel Energetika 2010 stellt Spielende vor die Herausforderung, die Stromversorgung im fiktiven Land Energetika bis 2050 sicherzustellen. Dazu müssen sie unter anderem Kraftwerke bauen, Speicheranlagen planen und neue Technologien entwickeln. Neben strategischem Geschick müssen Spielende auch nachhaltig handeln, um die Umwelt zu schonen und die Wirtschaftskraft des Landes zu erhalten. Das Spiel soll seinen Nutzern und Nutzerinnen die technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftliche Zusammenhänge der Energieversorgung nahe bringen.
http://www.energiespiel.de

Frontiers – You’ve reached the fortress Europe
In dem Spiel Frontiers erleben Spielende den Alltag an den EU-Außengrenzen aus zwei Perspektiven: Aus der Sicht eines Flüchtlings oder eines Grenzpolizisten. Als Flüchtling müssen die Spieler sich verstecken, untertauchen oder Wachen bestechen, als Grenzpolizist hingegen können sich die Spieler entscheiden, ob sie Warnschüsse abgeben oder gar den Grenzgänger erschießen, wobei unethisches Verhalten bestraft wird. Zweck des Spiels ist es, Spielende die schwierige Situation von Flüchtlingen und Grenzbeamten nachempfinden zu lassen und damit Denkanstöße zu geben.
http://frontiers-game.com/

Re-Mission
In dem Action-Spiel Re-Mission steuern Spielende einen Nano-Roboter und spüren damit Tumorzellen im menschlichen Körper auf oder sie bekämpfen bakterielle Infektionen. Dabei kann als „Waffe“ zum Beispiel die Chemotherapie eingesetzt werden. Die Zielgruppe des Spiels sind in erster Linie junge an Krebs erkrankte Patienten, die damit ihre Krankheit bzw. Therapie besser verstehen und daraus Mut schöpfen sollen.
http://www.re-mission.net/

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Überlegen Sie sich ein Thema, das Sie anderen durch ein digitales Lernspiel vermitteln wollen. Wie könnte ein entsprechendes Lernspiel aussehen? Welches Spielgenre würden Sie auswählen und wie würden Sie die Lerninhalte didaktisch integrieren? Ist ein Spiel überhaupt für das Thema geeignet bzw. welche Probleme könnten bei einer spielerischen Form der Wissensvermittlung hinsichtlich der Lernzielerreichung auftreten? Stellen Sie Ihre Lösungen Kollegen und Kolleginnen vor – würden diese Ihr Spiel spielen?

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Laden Sie eines der freien Praxisbeispiele für digitale Lernspiele über den angegebenen Link herunter und spielen Sie das Spiel möglichst durch. Haben Sie etwas Neues gelernt? Hat Ihnen das Spiel Spaß gemacht? Wie beurteilen Sie die Integration von Lerninhalt und Spielmechanik? Was könnte man bei dem Spiel besser machen?

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Reflektieren Sie ein nah zurückliegendes Erlebnis mit Computer- oder Videospielen: Haben Sie Spielspaß empfunden? Wenn ja, worauf würden Sie die dabei entstandene Motivation zurückführen? Wenn nicht, was hat Sie an der Entwicklung von Begeisterung für das Spiel gehindert?

Ausblick: Durchdringt uns die Gamification?

Erstes, nachstehendes, Element wird ans Ende der vorherigen Seite gestellt

Wir erleben derzeit eine deutliche Zunahme an Smartphone- und Tablet-Besitz (siehe #netzgeneration und #ipad) in den letzten Jahren und damit verbunden auch der Anzahl verfügbarer mobiler Applikationen. Durch die typischerweise mobile Verwendung dieser Geräte sowie der deutlich geringeren Leistungsfähigkeit gegenüber PCs kommt es zu einem deutlichen Aufschwung von Casual Games. Dieses Genre ist unter anderem aufgrund der geringeren Hardwareanforderungen und der weniger komplexen Bedienung klar im Vorteil.

Ab der zweiten Hälfte des Jahres 2010 fasst zusätzlich ein neuer Begriff Fuß: Gamification. Deterding et al. (2011) definieren Gamification als die Verwendung von Spielelementen verschiedenster Art in einem nicht-spielebasierten Kontext. Als bekanntestes Beispiel in diesem Zusammenhang kann die standortbezogene Applikation Foursquare genannt werden. Eigentlich geht es darum, Orte zu entdecken und mit Freunden zu teilen, die Spielenden werden jedoch zusätzlich durch die Möglichkeit, verschiedenste Abzeichen und Grade (engl. Badge) zu erreichen, intrinsisch motiviert.

Bei Gamification steht nicht die Produktion eines Spiel im Vordergrund, sondern vielmehr verschiedenste Applikationen mit spielerischen Elementen gezielt zu ergänzen, um Anwender/innen zu begeistern (Deterding et al., 2012; Groh, 2012). Im Lehr- und Lernbereich gibt es einen deutlichen Anstieg von Anwendungen, die solche Elemente aufweisen (Muntean, 2012), und hier erwarten uns spannende und interessante Jahre.

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Wählen Sie ein App auf Ihrem Smartphone aus, die eine Gamification aufweist. Beschreiben Sie, welche Spielelemente verwendet werden. Sind diese Element auch im Lehr- und Lernkontext sinnvoll einsetzbar?

Literatur