Forschungszugänge und -methoden

im interdisziplinären Feld des technologiegestützten Lernens

Dieser Beitrag bietet eine erste Orientierung, wie im Bereich des technologiegestützten Lernens (auch) geforscht werden kann, denn häufig sind nur die etablierten Forschungsmethoden und -vorgehensweisen der eigenen Disziplin bekannt. Dazu werden zunächst drei unterschiedliche Forschungszugänge im interdisziplinären Feld vorgestellt: hypothesen- und theorieprüfende, hypothesen- und theoriegenerierende sowie gestaltungsorientierte Verfahren. Im Anschluss werden einige Forschungsmethoden dem Forschungsprozess – Datenerhebung, Datenanalyse, Entwicklung – zugeordnet und skizziert und abschließend Hinweise zur Wahl einer Forschungsmethode gegeben sowie typische Herausforderungen im Feld genannt.

Einleitung

Technologiegestütztes Lehren und Lernen umfasst „alle Lern- und Lehrprozesse sowie -handlungen, bei denen technische, vor allem elektronische (zumeist auch digitale) Geräte und Anwendungen verwendet werden.“ (Ebner, Schön, Nagler, 2011, 2). Aus Sicht der empirischen Pädagogik kann man argumentieren, dass das technologiegestützte Lernen demnach nur eine Sonderform des Lernens ist, so dass ihre Forschungsmethoden anwendbar sind. Dem sind zwei Dinge zu entgegnen: Erstens haben sich durch Technologien Formen des Lernens entwickelt, die mit den tradierten Lern- und Lehrsituationen unter Umständen wenig gemein haben: Sie können zeitversetzt und räumlich verteilt sein oder auch die Realität anreichern (Stichwort „Augmented Reality“). Wichtiger ist, dass der Technologieeinsatz auch völlig neue, innovative Verfahren ermöglicht wie das gemeinsame, kollaborative und gleichzeitige Schreiben – ohne Technologieeinsatz faktisch nicht möglich. Zweitens können mit der gleichen Argumentation und gutem Recht auch Vorgehensweisen der Informatik als maßgeblich und ausreichend betrachtet werden, ist doch hier das Lernen und Lehren auch nur eine Variante von Anwendungsfeldern.

Das technologiegestützte Lernen und Lernen ist ein hochgradig interdisziplinäres Feld, bei dem unterschiedliche Forschungszugänge und -methoden, in Abhängigkeit vom disziplinären Hintergrund der Beteiligten, vorzufinden sind. Diese sind zum Teil damit zu begründen, dass sich die beteiligten Disziplinen mit unterschiedlichen Fragstellungen beschäftigen (siehe Kapitel #grundlagen). In diesem Beitrag werden ausgehend von unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen im Feld drei unterschiedliche Forschungszugänge vorgestellt. Im Anschluss wird ein Überblick über unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Datensammlung, der Auswertung sowie der Entwicklung gegeben.

Es finden sich nur wenige Vorarbeiten, die sich um eine methodologische Verortungen der E-Learning- Forschung bemühen (vgl. Friesen 2009; Reinmann, 2005; Reeves, 2006). Dennoch gibt es keinen allgemeinen Konsens zu den im Folgenden dargestellten Zugängen oder eine bereits klar umrissene Methodik. Wir haben uns bemüht, hier gleichermaßen disziplinäre Zugänge und tradierte Vorgehensweisen zu berücksichtigen, eine konsolidierte Meinung wird sich aber voraussichtlich erst in den nächsten Jahren entwickeln (können).

?

Bevor Sie weiterlesen: Notieren Sie sich nun Forschungsmethoden, die aus Ihrer Perspektive im Themenfeld des Lernens und Lehrens mit Technologien eingesetzt werden.

Unterschiedliches Verständnis von Forschung und Forschungsmethoden

Die Pädagogische Psychologie mit ihrem naturwissenschaftlichen Zugang, die Medienpädagogik mit ihrem geisteswissenschaftlichen Entstehungshintergrund sowie die angewandte Informatik mit ihrem technischen Verständnis haben unterschiedliche Forschungszugänge. Wie beim Forschen vorgegangen werden soll, ist nicht allein eine Frage der konkreten verwendeten Methode, also der Methodik (darunter werden die in einem Forschungsgebiet genutzten Methoden verstanden), sondern eine Konsequenz aus dem eigenen Verständnis des wissenschaftlichen Arbeitens und dem Verständnis von „Forschung“ in der Ausgangsdisziplin. Hier zeigen sich große Unterschiede zwischen den Disziplinen.

!

Das Wissen über Methoden („wie funktionieren sie“) wird auch Methodik genannt. Die Lehre von den Methoden, also welche Methoden unter welchen Umständen geeignet und begründbar sind, wird als Methodologie bezeichnet. Diese Unterscheidung der Begriffe „Methode“ und „Methodologie“ wird in der Regel im Englischen und Französischen nicht vorgenommen, dort werden die beiden Begriffe meist synonym und im Sinne von „Methoden“ verwendet, z.B. methods, methodologies.

Wer heute Psychologie oder Pädagogik studiert, belegt in aller Regel mehrere (Pflicht-) Veranstaltungen zu Forschungsmethoden. Während die Psychologie und pädagogische Psychologie im Regelfall eher an Forschungsmethoden orientieren sind, die sich an naturwissenschaftlichen Standards mit dem Primat experimenteller Laborstudien orientieren, wird in der Pädagogik auch in hermeneutische Methoden eingeführt, die aus den Geisteswissenschaften stammen. Veröffentlichungen zu Forschungsmethoden im Bereich des technologiegestützten Lernens hinterfragen so das Primat des Experiments als Königsklasse der Forschungsmethode (vgl. Friesen, 2009). Hinzu kommen von Expertinnen und Experten im Feld des technologiegestützten Lernens Forderungen, neben anerkannten Forschungsmethoden vermehrt auch Entwicklungsmethoden als Verfahren der Forschung anzuerkennen (Reinmann, 2005; Reeves, 2006; Amiel & Reeves, 2008).

In der Informatik wird diskutiert, ob sie sich als Grundlagenwissenschaft basierend auf der grundlagenorientierten Informationswissenschaft oder doch eher als Ingenieurwissenschaft orientiert an der ingenieurwissenschaftlichen Informationswissenschaft betrachten soll (Broy & Schmidt, 1999). In den letzten Jahrzehnten haben sich immer mehr Disziplinen entwickelt, die auf die Informatik zurückgreifen, ähnlich wie viele Ingenieurwissenschaften auf die Mathematik zurückgreifen (Kornwachs, 1997). Diese sind Bestandteil der „Angewandten Informatik“ oder es bildet sich ein sogenanntes “„Bindestrich”-Fach heraus, wie z.B. die Medizinische Informatik oder die Wirtschaftsinformatik als deren prominenteste Vertreterinnen (Frank, 2001). Demnach und auch unserer Erfahrung nach, wird gerade von Informatikerinnen und Informatikern, die im Feld des technologiegestützten Lernens aktiv sind, betont „ingenieurwissenschaftlich“ vorgegangen, Entwicklungsmethoden werden eingesetzt und entsprechende Überprüfungen in Form von Tests durchgeführt.

Hinweise dazu, was denn die (wichtigen) Forschungsmethoden in unserem Forschungsfeld sind, liefern uns neben solchen Einblicken in die Ausbildung und Diskussion der Disziplinen auch die wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Forschungsfeld: Welche Forschungszugänge und -methoden werden denn häufig in Beiträgen wissenschaftlicher Zeitschriften und Beiträgen auf Fachkonferenzen im Feld des technologiegestützten Lernens angeführt? Hier zeigen Auswertungen der verwendeten Methoden von Veröffentlichungen im Feld, dass nur ein Teil der Forschungsarbeiten mit empirischen Zugängen oder gar (quasi-)experimentellen Settings arbeiten: Nach Abrami et al. (2006) trifft dies nur auf etwa die Hälfte der Beiträge zum Thema E-Learning in Kanada zu. Für wissenschaftliche Beiträge zur Informatikausbildung ist dieser Anteil noch geringer: Nur in etwa einem Fünftel der Beiträge der 20 Jahre bis 2004 wird „experimentell“ vorgegangen, wobei darunter jegliches Vorgehen verstanden wird, bei dem eine Intervention mit etwas wissenschaftlicher Analyse bewertet wird (vgl. Valentine, 2004, 256). In den darauf folgenden Jahren hat sich der Anteil solcher „experimenteller“ Beiträge verdoppelt (vgl. Randolph et al. 2008, 146).

?

Die Beiträge zahlreicher Konferenzen im Gebiet des technologiegestützten Lernens und auch Beiträge in Fachzeitschriften finden sich frei verfügbar im Internet (siehe Kapitel #literatur). Wählen Sie drei beliebige Beiträge und versuchen Sie zu klären, ob und welche Forschungsmethode die Autorinnen und Autoren einsetzen.

Drei unterschiedliche Forschungszugänge

Bei der Forschung zu technologiegestütztem Lernen gibt es derzeit aus unserer Sicht drei zu unterscheidende Zugänge: Vorerst (a) hypothesen- und theorienprüfende Vorgehensweisen, die existierende Erklärungen zu den Vorgängen des Lernens und Lehrens in möglichst experimentellen Settings überprüfen sowie (b) hypothesen- und theoriengenerierende Verfahren (vgl. Bortz & Döring, 2006). Ergänzt haben wir diese traditionelle Darstellung um (c) anwendungsorientierte und gestaltende Verfahren, die neuartige Systeme und Konzepte entwickeln und überprüfen.

Abb. 1: Drei Forschungszugänge im Feld des Lernens und Lehrens mit Technologie
Abb. 1: Drei Forschungszugänge im Feld des Lernens und Lehrens mit Technologie

Theorie- und hypothesenprüfende Ansätze

Das tradierte hypothesenprüfende Verfahren versucht, bestehende Theorien zum technologiegestützten Lehren und Lernen zu bestätigen, zu überprüfen und gegebenenfalls in der Folge auch zu überarbeiten beziehungsweise anzupassen, zu adaptieren. Theorien sind allgemein Erklärungen der Dinge um uns herum, Vorstellungen davon, wie die Welt um uns herum „funktioniert“. Eine wissenschaftliche Theorie ist „jede wissenschaftliche Wissenseinheit, in welcher Tatsachen und Modellvorstellungen bzw. Hypothesen zu einem Ganzen verarbeitet sind“ (Schischkoff, 1991, 721f.). In der Pädagogik, ähnliche Formulierungen finden sich für die pädagogische Psychologie, wird darunter ein System von Aussagen verstanden, „das dem Zweck dient, Einzelerkenntnisse so zu ordnen und gedanklich zu vervollständigen, dass über ein bestimmtes Gebiet der Wirklichkeit (z. B. der Schule, das Spiel) möglichst widerspruchsfrei Darstellungen und Erklärungen der Zustände oder Entwicklungen in diesem Gebiet möglich werden“ (Schaub & Zenke, 2004, 352). Minimalanforderungen an eine Theorie sind, dass sie die Vorschriften von Logik und Grammatik berücksichtigt und dass sie widerspruchsfrei, überprüfbar und empirisch bestätigt ist. Schließlich soll sie einen praktischen Nutzen haben und nicht unnötig kompliziert sein.

Eine Forschungsarbeit mit diesem Zugang wird zunächst die Auswahl einer bestimmten Theorie begründen, daraus Hypothesen ableiten, ein Forschungsdesign vorstellen und umsetzen, um dann schließlich, unter anderem mit inferenzstatistischen Verfahren, Ergebnisse vorzustellen.

!

In der Informatik wird der Begriff der „Theorie“ anders verstanden. In der sogenannten
„theoretischen Informatik“ werden die Grundlagen für die anwendungsorientierte Informatik betrachtet, also grundlegende Modelle und Vorgehensweisen, zum Beispiel formale Sprachen, Theorie der Datenbanken oder auch Logik. In der theoretischen Informatik wird beispielsweise mit Hilfe der Mathematik bewiesen, ob ein Problem in einem endlichen Zeitrahmen gelöst werden kann (vgl. Erk & Priese, 2001).

Explorative Verfahren zur Generierung von Hypothesen, Theorien oder Handlungsempfehlungen

Der zweite Forschungszugang zielt nicht auf vergleichsweise konkrete Problemlösungen ab, sondern versucht, Hypothesen, Theorien und Handlungsempfehlungen zu entwickeln. So gibt es in der geisteswissenschaftlich, also auch philosophisch orientierten Pädagogik den Zugang, durch Verstehen, Diskurs und Analyse der Praxis Erklärungen und Modelle zu finden. Mit Hilfe von Daten von Lerneraktivitäten und -verhalten versuchen andere, auch mit Hilfe der Anwendung von Algorithmen und statistischen Verfahren, neue Ideen über die Verhältnisse und Phänomene zu entwickeln und darauf aufbauend Hypothesen zu formulieren. Diese werden erst in weiteren Untersuchungen näher untersucht. Viele Erhebungen zu Daten von Nutzerinnen und Nutzern oder Umfragen zur Mediennutzung sind so Beobachtungstudien, die mit der Absicht (regelmäßig) durchgeführt werden, zum Beispiel auf Änderungen reagieren zu können oder daraus Hypothesen abzuleiten.

Typischerweise kommen solche „explorativen“ oder „explorierenden“, also erkundende, Verfahren zum Einsatz, wenn es um eine Forschungsfrage geht, oder wenn es Quellenmaterialien gibt, zu denen es wenige existierende theoretische Annahmen gibt. Hier wird typischerweise eher „breit“ versucht Daten zu erheben, beispielsweise beim Fallstudienvergleich durch eine Sammlung möglichst vieler und unterschiedlicher Quellenmaterialien. Die Auswertung der Daten führt hier zu Annahmen (Hypothesen) und Heuristiken.

Anwendungsorientierte Gestaltung und Evaluation

Die Erziehungswissenschaft sowie die angewandte Informatik sind stark anwendungsorientierte Wissenschaften, die sich häufig mit konkreten praktischen Herausforderungen des technologiegestützten Lehren und Lernens beschäftigen. Im Bereich der angewandten Informatik überwiegt der ingenieurwissenschaftliche Zugang, also viele Verfahren, die systematisch die Entwicklung und Überprüfung von konkreten Systemen und Anwendungen unterstützen. Im Bereich der Erziehungswissenschaft gibt es immer wieder Vorschläge und Ermunterung, den Forschungszugang der anwendungsorientierten Gestaltung und Evaluation als gleichwertig neben dem bereits vorgestellten tradierten hypothesenprüfenden Verfahren anzuerkennen. Reinmann (2005) plädiert hier so für einen Forschungsansatz, der auf der Designentwicklung basiert, um so auch Innovationen mitzugestalten (engl. „design based research“, vgl. auch Kapitel #designforschung; Reeves, 2006).

Dabei wird zum einen auf didaktischen Annahmen aufgebaut und zum anderen werden Verfahren der Designentwicklung integriert. Aus Perspektive der angewandten Informatik ist eine ingenieurwissenschaftliche Vorgehensweise, die eine Lösung von neuartigen und nicht trivial zu lösenden Problemen untersucht, beschreibt, systemisch konzipiert und im Kontext umsetzt, in aller Regel als wissenschaftlich akzeptiert zu betrachten. Es gibt in der angewandten Informatik, aber auch in den Erziehungswissenschaften, zahlreiche Verfahren, die bei der Entwicklung von Lösungen für (neuartige) Herausforderungen im Bereich des technologiegestützten Lernens eingesetzt werden können, beispielsweise aus dem Bereich der nutzer-/nutzerinnen-zentrierten Softwareentwicklung oder in Verfahren des didaktischen Designs.

Ein typischer Beitrag mit diesem Zugang dokumentiert diese Entwicklungen ausgehend von der Beschreibung praktischer Herausforderungen. Neben der Recherche, Gegenüberstellung und Beschreibung möglicher und existierender Lösungen erfolgt eine begründete Auswahl für eine Entwicklungsmethode für eine neue/eigene Lösung. Das Ergebnis, also ein neues didaktisches oder technisches Konzept und gegebenenfalls die Anwendung, wird zudem formativ, also bereits während der Entwicklung, überprüft („formative Evaluation“) und/oder abschließend bewertet („summative Evaluation“, vgl. Kapitel #qualitaet). Alltägliches professionelles Handeln, das ähnliche Prozesse durchläuft, scheint sich hier von Forschungsaktivitäten insofern zu unterscheiden, als dass es sich um neuartige Herausforderungen handelt, die keiner Standardsituationen entsprechen und einer ausführlicheren Recherche und auch Dokumentation bedürfen. Das Kernaufgabengebiet dieses Forschungszugangs ist also die Anwendung bestehender Lösungen in neuen Kontexten bzw. neuen Situationen bzw. die Erstellung neuer Konzepte und Systemarchitekturen.

!

Dieser dritte Zugang ist je nach disziplinären Kontext „Standard“ oder eben ein „heißes Eisen“: Viele werden bestreiten, dass es sich hier um Methoden handelt, die auch zur Forschung eingesetzt werden können. Bei Forschungsarbeiten sind hier entsprechende Abklärungen im eigenen Interesse unabdingbar, solange es keine breite Akzeptanz und auch Qualitätskriterien für eine solche gestaltende Forschung gibt.

Abb. 2: Manche Forschungszugänge und -methoden im Feld sind umstritten.
Abb. 2: Manche Forschungszugänge und -methoden im Feld sind umstritten.

Qualitative, quantitative und Methodenmix-Verfahren

Nun wurden bereits unterschiedliche Forschungszugänge beschrieben und auch schon Forschungsmethoden genannt. Bevor wir exemplarisch Forschungsmethoden vorstellen, möchten wir auf eine vorherrschende Kategorisierung von Forschungsmethoden hinweisen, die auf der Unterscheidung von qualitativen und quantitativen Daten basiert.

Quantitative Verfahren sind zählende und messende Vorgehensweisen und darauf basierende Auswertungen, beispielsweise mit Hilfe statistischer Verfahren. Mit Hilfe von quantitativen Verfahren kann so etwa überprüft werden, ob die Note im Fach Englisch mit dem Besitz eines Smartphones bei Schüler/innen statistisch zusammenhängt.

Qualitative Verfahren beschäftigen sich demgegenüber mit der Qualität von Informationen: Hierzu werden beispielsweise Texte im Hinblick auf typische Argumentationsmuster analysiert oder es wird zum Beispiel versucht, mit Hilfe von Interviews mit Schüler/innen Informationen zu sammeln, die bei der Erklärung der Zusammenhänge der Englischnote mit dem Smartphone-Besitz weiterhelfen können. So könnte sich in einem offenen Gespräch ergeben, dass Kinder mit Smartphone häufiger mit ihren Eltern ins Ausland fahren und dort Englisch sprechen müssen. Forscher/innen, die einen qualitativen Zugang wählen, verstehen sich dabei bewusst nicht als ein auf „Unabhängigkeit bedachter Beobachter“, sondern als „faktischer oder virtueller Teilnehmer, Aufklärer, Advokat“ (Lamnek, 1995, 259). Es überrascht also nicht, dass sich die beiden Zugänge auch darin unterscheiden, dass bei qualitativen Verfahren häufig nur eine kleine Zahl von Untersuchungspersonen involviert ist.

!

Merksatz: Bei Quantitäten geht es um messbare Größen und um deren Messen, bei Qualität um „Content“ (engl. im Sinne von Inhalt und Gehalt).

Qualitative und quantitative Forschungsmethoden basieren auf unterschiedlichen methodologischen Überlegungen. Ein Methodenmix, also die ergänzende Verwendung von quantitativen und qualitativen Verfahren, um eine Fragestellung besser beantworten zu können, ist daher nicht unproblematisch (Lamnek, 1995, 251ff.). Für Verfahren, die sich einer solchen „Triangulation“ bedienen, sprechen jedoch einige Argumente, und ihre Verzahnung erscheint auch methodologisch durchaus möglich (Kelle, 2008). So gibt es Verfahren, bei denen beispielsweise gezählt wird, wie häufig eine bestimmte Argumentation oder Aussage in Texten getätigt wird (vgl. Mayring, 2000). Triangulation wird dabei als Ideal von Forschung betrachtet: „wie die Schenkel eines Triangels zusammengeschweißt sind, so sind qualitative und quantitative Analyseschritte miteinander zu verbinden, sie sind aufeinander angewiesen, um einen reinen Klang hervorbringen zu können“ (Mayring, 1999, 122).

Ausgewählte Forschungsmethoden im Forschungsprozess

Abweichend von der häufig gewählten oben genannten Unterscheidung von quantitativen und qualitativen Vorgehensweisen werden wir im Folgenden auf unterschiedliche Forschungsmethoden hinweisen, die wir im Hinblick auf ihre Verortung im Forschungsprozess darstellen.

Verfahren der Datenerhebung

Es gibt zahlreiche Verfahren, beim technologiegestützten Lehren und Lernen Daten zu erheben. Zunächst ist hier die Beobachtung zu nennen. Forscher/innen beobachten dabei unter kontrollierten Bedingungen das Verhalten von Lerner/innen, auch mit Unterstützung von Video und anderen technischen Hilfsmitteln, oder erfassen automatisiert Daten (z.B. durch Tracking). Eine weitere Datenerhebungsform sind Befragungen, die (fern-)mündlich oder schriftlich erfolgen können (z.B. mit einem Web-Fragebogen). Dabei können Einzelpersonen oder auch Gruppen adressiert werden (z.B. in Fokusgruppen-Interviews). Eine wichtige Unterscheidung ist dabei die Form der Beantwortung oder Beobachtung: Werden offene Fragen gestellt beziehungsweise Beobachtungskategorien oder Antwortoptionen („standardisiertes Verfahren“) vorgeben? Eine Sonderform einer Befragung kann ein Test sein (z.B. als Persönlichkeitstest). Tests werden jedoch auch in der angewandten Informatik durchgeführt, wenn bestimmte Technologien nach vorher definierten Kriterien geprüft werden sollen (z.B. Performancetest).

Häufig wird versucht, mit Forschung einen bestimmten Zustand zu beschreiben, wobei in aller Regel versucht wird, nicht in das System einzugreifen. Besonders spannend wird es immer dann, wenn versucht wird, Unterschiede oder Zusammenhänge festzustellen, beispielsweise ob unterschiedliche Gruppen oder Technologien unterschiedliche Ergebnisse liefern, ob Verhalten oder Leistungen durch unterschiedliche Interventionen beeinflusst werden oder wenn Zusammenhänge zwischen Merkmalen untersucht werden sollen. Hierzu müssen in aller Regel Daten zu mehreren Variablen erhoben werden, häufig auch zu mehreren Zeitpunkten oder in verschiedenen Gruppen und mit verschiedenen Bedingungen. Als „Königsweg“ eines naturwissenschaftlich orientierten Zugangs ist dabei das Experiment zu bezeichnen. Darunter wird ein Versuch verstanden, bei dem eine Größe, die „unabhängige Variable“, systematisch verändert und so überprüft wird, wie sie das Ergebnis, die sogenannte „abhängige Variable“, beeinflusst. Die Herausforderung dabei ist, alle anderen Variablen „unter Kontrolle zu haben“. Sollen Experimente zum Lernen und Lehren durchgeführt werden, sind häufig Abstriche bei den idealen Experimentbedingungen zu machen. Häufig können sie nicht unter Laborbedingungen, unter denen alle Variablen „unter Kontrolle sind“, durchgeführt werden, sondern nur im „Feld“, das heißt zum Beispiel in einem Klassenzimmer.

Auch ist es oft (aus ethischen Gründen) nicht möglich, Teilnehmer/innen an Experimenten „zufällig“ auszuwählen oder Gruppen zuzuteilen, es handelt sich dann um „Quasiexperimente“. Die Voraussetzungen eines experimentellen Designs sind beim Lernen und Lehren mit Technologien nur selten zu realisieren. In der Forschungspraxis ist es oft schwierig, Vergleichsgruppen zu bilden. So sind die Unterschiede in zwei Schulklassen (Lehrer/innen, Schüler/innen, Verteilungen) oft schon zu groß, um Wirkungen zweier unterschiedlicher Interventionen beurteilen zu können. Die Feldstudie ist zwar im Forschungsbereich eine unerlässliche Vorgehensweise, da die Ergebnisse oft vom Laborversuch deutlich abweichen, aber umgekehrt auch viel schwieriger zu systematisieren. Sofern es nur um reine Technologien geht, beispielsweise um Performancetests unter bestimmten Bedingungen, gibt es diese Schwierigkeiten nicht.

Verfahren der Auswertung

Bevor Daten ausgewertet werden, müssen die erhobenen Daten in aller Regel erst aufbereitet werden. Dann liegen sie in unterschiedlichen Formaten vor, beispielsweise als Texte, Tabellen oder auch als Foto- oder Videomaterial. Es gibt unterschiedliche Auswertungsmöglichkeiten, die jedoch auch von den spezifischen Materialien abhängen.

So gibt es für Daten, die in Form von Zahlen vorliegen, zunächst einmal die Möglichkeit der quantitativen Auswertungsmöglichkeiten. Deskriptive statistische Verfahren geben dabei einen Überblick über Verteilungen, beispielsweise Durchschnittswerte oder Rangreihen. Die Berechnung des Korrelationskoeffizienten ermöglicht so die Überprüfung, ob zwei Datensätze statistisch zusammenhängen. Die Clusteranalyse ist ein algorithmisches Verfahren, das auf „Häufelungen“ von Daten mit ähnlichen Merkmalsausprägungen hinweisen kann. Die Soziale-Netzwerk-Analyse wertet beispielsweise Vernetzungsstrukturen im Hinblick auf entscheidende Knoten im Netzwerk der Beziehungen oder Kommunikationsflüsse aus. Bei Vergleichen von Datensätzen, beispielsweise Gruppenvergleiche oder Prä- und Postdaten, kommen sogenannte inferenzstatistische Verfahren zum Einsatz. Diese erlauben Aussagen darüber, ob Unterschiede in den Gruppen durch den Zufall erklärt werden können oder statistisch bedeutsam sind. Bei sogenannten „Zusammenhangstudien“ wird versucht zu klären, inwieweit zwei Faktoren voneinander abhängen. Hier kann beispielweise das statistische Zusammenhangsmaß des Korrelationskoeffizienten berechnet werden. Solche Verfahren werden auch bei explorativen Auswertungen eingesetzt, um beispielsweise auf besondere Zusammenhänge aufmerksam zu werden (vgl. Kapitel #analytics).

Bei qualitativ orientierten Verfahren werden Daten im Hinblick auf inhaltliche Aspekte ausgewertet, beispielsweise werden Text- und Inhaltsanalysen im Hinblick auf bestimmte Motive, Argumentationsstrukturen, Muster (engl. Pattern) oder Aussagen hin angefertigt. Manchmal werden diese Kriterien auch erst während der Auswertung entwickelt. So beschreibt das Verfahren der „Grounded Theory“ (Glaser & Strauss, 1967) die Entwicklung und Entstehung von Theorien auf Grundlage der Auswertung von qualitativen Daten (in der Regel Texten). Gruppen können dabei verglichen werden, indem Besonderheiten identifiziert werden. Fallstudienanalysen versuchen beispielsweise häufig, Erfolg- und oder Misserfolgskriterien von Unternehmungen zu identifizieren.

Verfahren der Entwicklung

Schließlich werden auch in der systematischen Entwicklung von neuartigen Konzepten und Systemen zahlreiche unterschiedliche Methoden eingesetzt, die mehr oder weniger genau vorschreiben, wie diese Entwicklung stattfinden soll, um die angestrebten positiven Ergebnisse zu erhalten, um besonders ökonomisch voran zu kommen oder auch, um besonders innovative Verfahren zu erhalten.

In der angewandten Informatik sind hier Prinzipien wie die iterative Softwareentwicklung, Prototyping, Analysen von Einsatzpotentialen oder auch nutzer-/nutzerinnen-zentrierten- Anwendungsentwicklungen zu nennen, wobei Letztere beispielsweise mit Hilfe der Persona-Methode gut zu den unterschiedlichen Anforderungen und Nutzergruppen passen. Auch gibt es zahlreiche Vorschläge, wie man zu gelungenen Lernumgebungen und -materialien gelangt, zum Beispiel das ADDIE- oder das ARCS-Modell oder indem man Architekturen solcher Informationssysteme entwirft. Auch gibt es Innovationsentwicklungsverfahren wie Lead-User-Workshops, die hier Anleitungen geben können. Spezielle Methoden in der Usability-Forschung (zum Beispiel Thinking Aloud oder Heuristische Evaluation) helfen, speziell die Mensch-Maschine-Interaktion besser zu verstehen (siehe Kapitel #usability). Schließlich ermöglichen unterschiedliche Evaluationsmethoden, die Entwicklung zu optimieren oder abschließend auf Stärken und Schwächen hinzuweisen.

?

Nehmen Sie die von Ihnen eingangs angefertigte Sammlung von Forschungsmethoden zur Hand. Welchem der drei skizzierten Forschungszugänge lassen sie sich zuordnen? Welche der hier genannten Forschungszugänge und Forschungsmethoden haben Sie nicht berücksichtigt?

Zur Wahl geeigneter Forschungsmethode

Ausgehend von einer Fragestellung ergibt sich ein Forschungsgebiet. Nach einer Literaturrecherche und Auswertung des Forschungsstandes sollte deutlich sein, welche Fragen geklärt sind, wo es offene Fragen gibt, welche Theorien genutzt werden und welche Forschungsmethoden vorherrschend sind. Gerade im interdisziplinären Feld des technologiegestützten Lehrens und Lernens erleben wir immer wieder, dass ein Austausch mit Expertinnen und Experten an diesem Zeitpunkt sehr hilfreich und wichtig ist: Es gibt zahlreiche Theorien und Forschungstraditionen, an die angeknüpft werden kann, die aber bisher kaum oder nur eingeschränkt genutzt werden. Auch ist es hilfreich, hier gezielt nach verwandten Fachbegriffen oder Synonymen zu fragen: So gibt es neben dem Konzept des „flipped classroom“ auch eine Gruppe, die sich darüber mit dem Begriff „inverted classroom“ austauscht (siehe Kapitel #offeneslernen). Wenn die Forschungsfrage gestellt ist und es darum geht, ein geeignetes Forschungsdesign zu entwickeln und Forschungsmethoden auszuwählen, möchten wir eine Reihe von weiterführender Literatur empfehlen.

!

Unter dem Schlagwort #forschungsmethoden und #buchtipp finden sich bei Diigo.com eine Reihe von Links auf Buchempfehlungen rund um Forschungsmethoden, die im Themenfeld eingesetzt werden können; sie können auch gerne ergänzt werden!

Ausblick: Typische Herausforderungen

Unabhängig von der gewählten Forschungsmethode möchten wir abschließend auf einige Herausforderungen der Forschung zum technologiegestützten Lernen hinweisen. So scheint es einige typische „Bias“ (engl. „Voreingenommenheit“) zu geben, die bei der Auswertung oder Diskussion berücksichtigt werden sollten, die sich im Wesentlichen um jeweils „neue“ Technologien drehen. Amiel und Reeves (2008) stellen sich so die grundsätzliche Frage, ob wir uns gerade in einer Phase überzogener Erwartungen befinden (siehe auch Kapitel #zukunft). Mit neuen Technologien werden per se positive Veränderungen und Ergebnisse verknüpft, nach Schulmeister (2009) enthalten sie ein ‚Versprechen auf die Zukunft’. Das kann auch dazu führen, dass negative Ergebnisse seltener veröffentlicht werden (vgl. Aktenschubfach-Effekt nach Rosenthal, 1979).

Literatur